08. Burg in den Weihergärten

Forschungsgeschichte

„Das merkwürdigste Gebäude des Orts war vormals die Burg, von der man noch den sumpfigen, ehmals mit Wasser angelaufenen Graben und verfallenen Wall oben im Dorfe hinter den Häusern der nördlichen Reihe der Cappel sieht. Graben und Wall umgeben einen viereckigen Platz, auf dem die Burg stund, und auf dem man noch beim Nachgraben auf Spuren der Gebäude trifft.“So schildert der Nehrener Dorfchronist Friedrich August Köhler 1838 die Situation in den „Weihergärten.“
Die historische Forschung war freilich schon früher auf Nehren und seine Burg aufmerksam geworden, zunächst jedoch auf dürftiger Quellenbasis. In seiner Schwäbischen Chronik (1595/96) schrieb der Tübinger Professor Martin Crusius, in Nehren sei „vor Zeiten ein Schloß gestanden, darin die Edlen Noraner von Nören gewohnt: Welche Familie schon längst ausgestorben ist.“ Außerdem wusste er zu berichten, dass „zu Neeren die von Gönningen wohnten“ und nannte für das Jahr 1191 Friedrich und Hugo von Gönningen. Seine dritte Information bezieht sich auf eine 1520 erneuerte Wappentafel des Klosters Bebenhausen, auf welcher die Wohltäter des Klosters mit ihren Wappen vermerkt waren – unter vielen anderen auch die „Herren von Nären“. Zwei der drei Informationen beziehen sich auf Quellen des 16. Jahrhunderts, der Angabe zu Friedrich und Hugo von Gönningen (die es als Personen vermutlich gar nicht gab) liegt sehr wahrscheinlich eine Fehlinterpretation zugrunde.

Abb. 1: Helmut Berner (1917 – 1971, Lehrer in Nehren von 1948 – 1955) mit seinen Söhnen am Albtrauf. Undatierte Privataufnahme.

Abb. 1: Helmut Berner (1917 – 1971, Lehrer in Nehren von 1948 – 1955) mit seinen Söhnen am Albtrauf. Undatierte Privataufnahme.

Nachdem die Suche nach einem in den Archiven nachweisbaren Ortsadel zunächst erfolglos gewesen war (bzw. ältere im Zusammenhang der Wappenverleihung 1909 ermittelte Erkenntnisse nicht mehr bekannt waren), bat die Gemeindeverwaltung beim Landesamt für Denkmalpflege im damaligen Bundesland Württemberg-Hohenzollern um archäologische Unterstützung. Am 5. Mai 1951 begann die erste Sondage-Untersuchung unter Leitung von Landeskonservator Prof. Adolf Rieth und zweier Herren vom Tübinger Institut für Vor- und Frühgeschichte. Wegen gefährdeter Obstbäume wurden die Grabungen nach wenigen Tagen wieder eingestellt, im weiteren Jahresverlauf sowie im Folgejahr gab es jedoch neue Untersuchungen. In diese war nun der Nehrener Dorfschullehrer Helmut Berner (Abb. 1) leitend mit eingebunden, der für die Arbeit vor Ort einige seiner Schüler gewinnen konnte. Berner, zugleich „örtlicher Beauftragter für die Ortschronik Nehren“, war es dann auch, der mit seinen archivalischen Untersuchungen zur Frage des Nehrener Ortsadels den Forschungsstand zur Nehrener Burg entscheidend verbessern konnte.

Abb. 2: Topografische Aufnahme der Burg durch G. Kollmayer, Frankfurt a. M., 1951

Abb. 2: Topografische Aufnahme der Burg durch G. Kollmayer, Frankfurt a. M., 1951

Die Altgrabung von 1951/52

Nachdem 1951 auch eine topografische Aufnahme der Burg durchgeführt worden war (Abb. 2), konnte Berner bei seinen Grabungen archäologisch zwei massive, in etwa quadratische Baustrukturen nachweisen: Einen relativ zentral gelegenen Steinbau, den er als „Wohnturm“ deutete, sowie im Norden der Kernburg eine deutlich kleinere Struktur mit schwächeren Fundamenten, in der er ein „Wirtschaftsgebäude“ sah (Abb. 5). Leider ist die Flächendokumentation der Ausgrabungen sehr dürftig ausgefallen. Es existieren nur schematische Skizzen der Schnitte (horizontale Dokumentationsflächen) im Maßstab 1 : 100, als einzige Befunde sind Steinfundamente vermerkt. Nur für die Kampagne von 1951 können die Schnitte aus der Dokumentation heraus grob verortet werden, die Schnitte von 1952 wurden zwar eingemessen, das Bezugssystem jedoch nicht mit überliefert. Nur eingeschränkten Nutzen bietet die im Landesamt für Denkmalpflege überlieferte Foto-Dokumentation: Von den sieben Schwarz-Weiß-Fotos zeigen nur drei Fotos Befundsituationen (Abb. 3). Das heute im Zentralen Fundarchiv des Archäologischen Landesmuseums in Rastatt gelagerte Fundmaterial – erwähnenswert sind mehrere kleine Fragmente eines Kettenhemdes – ist zahlenmäßig überschaubar. Schriftliche Dokumentationen der Ausgräber sind nicht überliefert.

Abb. 3: Die drei Befundfotos von 1952. Fotos links und Mitte mit „Wirtschaftsgebäude“, Foto rechts mit „Wohnturm“ beschriftet. Die Fotos zeigen das südöstliche Kellerfundament im Norden der Kernburg von Südwesten (links) und Nordosten (Mitte). Rechts ist die Westecke des Wohnturms (hinten) mit späterem Anbau (vorne) wiedergegeben, von Nordwesten.

Abb. 3: Die drei im Landesamt für Denkmalpflege überlieferten Befundfotos der Altgrabung. Fotos links und Mitte mit „Wirtschaftsgebäude“, Foto rechts mit „Wohnturm“ beschriftet. Die Fotos zeigen die Südostwand des Kellers im Norden der Kernburg von Südwesten (links) bzw. Nordosten (Mitte). Rechts ist die Westecke des zentral auf der Kernburg gelegenen Festen Hauses (hinten) mit nachträglich angefügtem Punktfundament (vorne) wiedergegeben, von Nordwesten.

Mit Abstand am professionellsten dokumentiert ist ein wohl im nordwestlichen Graben zu verortendes Grabenprofil (Abb. 4). Es ist davon auszugehen, dass dieses Profil (vertikale Dokumentationsfläche) für eine geplante Publikation aufbereitet worden war. Weshalb diese nicht zustande kam, kann nur vermutet werden: Im Briefverkehr zwischen Berner und Rieth wird ein offener Dissens über die Datierung der Burg deutlich: Während Berner die Ausgrabungsbefunde als Beleg eines Burgenbaus im 12. Jahrhundert werten wollte (passend zur Nachricht bei Crusius), bestanden die Archäologen auf eine Datierung des Fundmaterials ins 14./15. Jahrhundert. Ein einzelnes Randstück der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde als vor-burgenzeitlich gewertet.

Abb. 4: „Nehren Burghügel. Graben-Schnitt N-Abschnitt“. Wohl zu Publikationszwecken aufbereitetes einziges Profil der Altgrabung 1951/52. Die ergänzten Beschriftungen sind der zugrunde liegenden Handzeichnung entnommen.

Abb. 4: „Nehren Burghügel. Graben-Schnitt N-Abschnitt“. Wohl zu Publikationszwecken aufbereitetes einziges Profil der Altgrabung 1951/52. Die ergänzten Beschriftungen sind der zugrunde liegenden Handzeichnung entnommen.

Abb. 5: „Faustskizze Weihergärten“ von Helmut Berner. Die Fotos 1 – 9 gehen auf das Jahr 1951 zurück, die Fotos 10 – 18 auf das Jahr 1952. Auf dem Fotoplan haben die in Abb. 3 wiedergegebenen Fotos die Nummern 10, 11 und 13 (von links nach rechts). Bleistiftskizze kontrastverstärkt, die auf der Rückseite aufgeklebten Fotos scheinen durch. Der Stempel verrät, dass die Fotos bei der heute weltweit operierenden Fa. C. Erbe (Medizintechnik) entwickelt wurden, in deren Tübinger Ladengeschäft am Holzmarkt in der schwierigen Kriegs- und Nachkriegszeit auch derartige Dienstleistungen angeboten wurden.

Abb. 5: „Faustskizze Weihergärten“ von Helmut Berner. Die Fotos 1 – 9 gehen auf das Jahr 1951 zurück, die Fotos 10 – 18 auf das Jahr 1952. Auf dem Fotoplan haben die in Abb. 3 wiedergegebenen Fotos die Nummern 10, 11 und 13 (von links nach rechts). Bleistiftskizze kontrastverstärkt, die auf der Rückseite aufgeklebten Fotos scheinen durch.

Insgesamt ist die Dokumentation der Altgrabung als dürftig zu werten – was in Anbetracht der mittelalterarchäologischen Realitäten der 1950er Jahre als zeittypisch gelten kann. Ein überraschender, Ende Januar 2016 zutage getretener „Neufund“ zeigt jedoch, dass die Dokumentation ursprünglich umfangreicher war: Eine heute in Bisingen wohnende ehemalige Nehrenerin übereignete dem Autor einen vierseitigen Papierbogen, auf den Helmut Berner ursprünglich 18 Ausgrabungsfotos (17 noch vorhanden) aus beiden Ausgrabungsjahren aufgeklebt hatte. Darüber hinaus überliefert der Bogen einen ganzseitigen, mit „Faustskizze Weihergärten“ überschriebenen Fotoplan, in dem alle 18 Fotopositionen in verständlicher Art und Weise skizzenhaft niedergelegt waren (Abb. 5). Wie der Bogen in ihren Besitz gekommen war, konnte die Überbringerin nicht sagen. Er kann jedoch – gemeinsam mit der verloren gegangenen Vermessungsgrundlage von 1952 – als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Dokumentation ursprünglich umfangreicher und qualitativ hochwertiger war als das, was heute an einschlägiger Stelle überliefert ist.

Die neuen Untersuchungen seit 2012

Abb. 6: Geoelektrische Prospektion des Kernburgareals. In Dunkelgrau und Rot sind Bereiche hohen elektrischen Widerstands eingefärbt. Gut erkennbar ist das Fundament des Festen Hauses im Zentrum der Kernburg sowie nördlich davon der schuttverfüllte quadratische Kellerraum. Die größte Anomalie zieht sich bananenförmig über den Norden des Festen Hauses. Ihre Entstehung ist noch nicht endgültig geklärt. Bisher wurde die große Anomalie nur randlich im Nordwesten angeschnitten: Hier kam unvermörtelter Kalksteinbruch zum Vorschein, wie er etwa auch im Zwischenschalenmauerwerk des hochmittelalterlichen Festen Hauses Verwendung fand. Die Anomalie im Süden der Kernburg repräsentiert eine Schuttkonzentration, die auf ein weiteres Gebäude in diesem Bereich hindeuten dürfte.

Abb. 7: Geomagnetische Prospektion des Kernburgareals. In Dunkelgrau sind stark magnetisierte Bodenbereiche hervorgehoben. Gut erkennbar sind die umfangreichen Brandschuttverklappungen im nordöstlichen und nordwestlichen Grabenbereich. Im nordöstlichen Graben zeichnet sich Schnitt 4 (2013) bereits als hellerer Einschnitt ab. Ebenfalls durch Brandschutt dunkel erscheint der Keller im Norden der Burg – auch hier ist ein Schnitt des Jahres 2013 (Schnitt 1) für die rechteckige Fehlstelle im Süden des Kellers verantwortlich. Die schwächere Nordwest-Südost verlaufende Anomalie, welche die Nordhälfte des Festen Hauses – exakt entlang der heutigen Grundstücksgrenze – scharf von seiner Südhälfte trennt, dürfte als Hinweis auf eine Teilunterkellerung des Gebäudes zu werten sein. Die zahlreichen punktuellen Anomalien mit scharfem Gegensatz von schwarzen und weißen Bereichen (Dipol-Anomalien) verweisen auf in der Regel neuzeitliche Metallobjekte im Boden. Hierzu gehören auch die durch nahe Metallzäune verursachten Rand-Störungen im Südwesten und Südosten.

Mit einer geoelektrischen Prospektion im Juli 2012 (Abb. 6) beginnen die neueren Forschungen zur Nehrener Burg, an denen die Gemeinde Nehren, das Landesamt für Denkmalpflege, Ref. 84.2 (Dienstsitz Tübingen) und das Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen beteiligt sind. Ziel der Prospektion war die Abklärung der Lage der Altschnitte von 1951/52 sowie die Suche nach möglichen weiteren Steinbefunden. Im September und Oktober 2013 folgte die erste Grabungskampagne in Form einer Lehrgrabung der Universität Tübingen unter Leitung von Dr. Sören Frommer, Nehren. Ziele der Kampagne waren die endgültige Verortung der Schnitte der 1950er Jahre und die Verifizierung der damals festgestellten Befunde sowie die Einbindung der Gebäudebefunde in eine stratigrafische (schichtenkundliche) Abfolge, über die auch das Fundmaterial der Altgrabung leichter zu bewerten wäre. Zusätzlich sollte auch einigen geoelektrisch festgestellten Anomalien nachgegangen werden.

In Vorgriff auf weitere Untersuchungen wurde im Dezember 2013 eine zweite Prospektion (Geomagnetik, Abb. 7) durchgeführt. 2014 ermöglichte die Gemeinde Nehren einen Neueinstieg in die Sichtung der Schriftquellen (Joachim Jehn M. A., Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften, Universität Tübingen). Zwei Jahre nach der ersten Kampagne fand im September/Oktober 2015 eine zweite vierwöchige Lehrgrabung statt. Hier ging es in erster Linie darum, den bei der ersten Kampagne festgestellten früh- bis hochmittelalterlichen Funden, die sich verlagert in den Schichten der spätmittelalterlichen Burg fanden, im Befund nachzugehen und den Charakter der zugehörigen Vorbesiedlung aufzuklären. Die neuen Erkenntnisse wurden für eine Ausstellung im Nehrener Rathaus (Dezember 2015 bis Februar 2016) überschlagsmäßig aufbereitet. Der Forschungsstand von Februar 2016 in Kürze (Abb. 8):

Abb. 8: Nehren, Burg in den Weihergärten. Bauphasengesamtplan mit Rekonstruktion der Baubefunde (Grabungen 2013 und 2015). Nicht eingetragen sind die Altschnitte von 1951/52, die nicht erneut geöffnet wurden: ein 1,7 m² großer Schnitt an der Südecke des Festen Hauses, ein 0,9 m² großer Schnitt an dessen Nordecke, ein 2,4 m² großer Schnitt an der Innenseite der Südwestmauer des Festen Hauses sowie ein 10,2 m langer Grabenschnitt, der zentral im nordwestlichen Grabenabschnitt liegt. In den Grabungsplan einkopiert ist die topografische Geländeaufnahme von 1951, ausgerichtet über die heute noch bestehenden Scheuern der Kappelstraße.

Die hochmittelalterliche Burg (um 1100)

Abb. 9: Planierschichten der Zeit um 1100 im Innern des Festen Hauses: Die untere, dunklere Planierschicht zieht sich über die gesamte Kernburg. Die hellere obere Planierschicht dürfte bereits zum Unterbau eines Bodens im Festen Haus gehören.

Abb. 9: Planierschichten der Zeit um 1100 im Innern des Festen Hauses: Die untere, dunklere Planierschicht zieht sich über die gesamte Kernburg. Die hellere obere Planierschicht dürfte bereits zum Unterbau eines Bodens im Festen Haus gehören.

Unter den 30 bis über 70 cm starken schieferführenden Aufschüttungen des Spätmittelalters, welche das Areal der Kernburg flächig bedecken, kam eine ältere Einplanierung aus festem, mit ortsfremdem Kalksteinbruch versetztem, braunem Lehm zum Vorschein (Abb. 9). Die Funde aus dieser Planie haben das Spektrum der vor das Spätmittelalter datierenden Keramik (Abb. 10) beträchtlich erweitert: Inzwischen liegen bei der älteren gelben Drehscheibenware Ränder der Typen Runder Berg und Jagstfeld in gleicher Anzahl vor, dazu kommt nun auch Albware, die in den Formen des 11. bzw. früheren 12. Jahrhunderts auftritt. In Einzelfragmenten findet sich auch ältere Keramik des Frühmittelalters, eventuell bis zur Völkerwanderungszeit zurückreichend. Ein Kleinstfragment Terra Sigillata – der erste römische Fund auf Markung Nehren – und ein größeres vorgeschichtliches Wandstück, vermutlich der Urnenfelder- oder Hallstattzeit, belegen noch ältere Begehungen der Umgebung.

Abb. 10: Auswahl früh- bis hochmittelalterlicher Keramik der Grabungskampagne 2013. Rechts ein Randstück der älteren Albware (1. H. 12. Jh.), links und Mitte Rand- und Wandstücke der älteren gelben Drehscheibenware. Das Randstück oben Mitte gehört wahrscheinlich zu einer Topfkachel des 10./11. Jahrhunderts. Die Neufunde des Jahres 2013 sind noch nicht fotografiert.

Abb. 10: Auswahl früh- bis hochmittelalterlicher Keramik der Grabungskampagne 2013. Rechts ein Randstück der älteren Albware (1. H. 12. Jh.), links und Mitte Rand- und Wandstücke der älteren gelben Drehscheibenware. Das Randstück oben Mitte gehört möglicherweise zu einer Topfkachel des 10./11. Jahrhunderts.

Abb. 11: Oberer Burggrabenabschnitt (vgl. Abb. 4) im Ausgrabungszustand von 2015: Zwischen dem intakten Schieferfels und den durch ihre rötliche Färbung erkennbaren Brandschuttverfüllungen des späteren 14. Jh. (wohl 1370er) liegen Lehmauskleidungen, die mit den Schieferplanien der Kernburg (um 1280) verzahnt sind. Noch auf die erste Grabenphase bezieht sich der Ausbiss der tonigen Planie der Zeit um 1100.

Abb. 11: Oberer Burggrabenabschnitt (vgl. Abb. 4) im Ausgrabungszustand von 2015: Zwischen dem intakten Schieferfels und den durch ihre rötliche Färbung erkennbaren Brandschuttverfüllungen des späteren 14. Jh. (wohl 1370er) liegen Lehmauskleidungen, die mit den Schieferplanien der Kernburg (um 1280) verzahnt sind. Noch auf die erste Grabenphase bezieht sich der Ausbiss der tonigen Planie der Zeit um 1100.

Diese 20 bis über 50 cm starke Planierschicht, die am wahrscheinlichsten „um 1100“ datiert, ist ebenfalls auf der gesamten Kernburg verbreitet und fällt zum Graben hin ab, mit dessen erster Phase, einem ca. 4 m tiefen Spitzgraben, sie gleichzeitig sein dürfte (Abb. 11). Einziger nachgewiesener Bau zu dieser Phase ist der zentrale, ungefähr quadratische Massivbau, der bereits 2013 ergraben und der in der spätmittelalterlichen Phase lediglich wiedergenutzt wurde. Nach der Westecke konnte nun auch die Südostwand des in lehmgebundenem Zweischalenmauerwerk errichteten Gebäudes freigelegt werden, dessen Nordwest-Südost-Ausdehnung damit auf 10,10 m bestimmt werden kann (Abb. 12). An dieser Stelle war die Mauer bereits 1951 freigelegt gewesen. In einem Zeitungsbericht vom 11. Mai des genannten Jahres ist belegt, dass die Fundamentunterkante hier erst in 2,80 m Tiefe erreicht wurde. Diese Zahl wird durch eine 1:100-Skizze des einschlägigen Profils in der Dokumentation der Altgrabung bestätigt.

Abb. 12: Außenansicht des Festen Hauses (um 1100) von Südosten. Das aufgehende Mauerwerk beginnt auf ca. 50 cm Maßstabshöhe. Im linken Profil ist unten die hochmittelalterliche Planierschicht zu erkennen, darüber die mit gelbem Ton verfüllte Dichtungsgrube des späteren 13. Jh. Das rechte Profil und die Fläche zeigen die Altschnittverfüllung des Jahres 1951.

Abb. 12: Außenansicht des Festen Hauses (um 1100) von Südosten. Das aufgehende Mauerwerk beginnt auf ca. 50 cm Maßstabshöhe. Im linken Profil ist unten die hochmittelalterliche Planierschicht zu erkennen, darüber die mit gelbem Ton verfüllte Dichtungsgrube des späteren 13. Jh. Das rechte Profil und die Fläche zeigen die Altschnittverfüllung des Jahres 1951.

Der Massivbau ist durch eine Binnenmauer quergeteilt, die in gleicher Technik wie die Außenmauer errichtet und mit dieser verzahnt ist (Abb. 16). Aufgrund der Ergebnisse der geomagnetischen Prospektion (Abb. 7) ist davon auszugehen, dass die an die Trennmauer anschließende Nordosthälfte des Massivbaus unterkellert war. Wegen der nachgewiesenen Fundamenttiefen ist hier ein Kellerraum in voller Geschosshöhe denkbar. Aufgrund der mit 1,05 bis 1,15 m relativ geringen Mauerstärken, der Lehmbindung des Mauerwerks sowie der vorgefundenen Binnengliederung ist der Bau eher als „Festes Haus“ denn als „Wohnturm“ anzusprechen. Das gegen 1100 errichtete Feste Haus wurde nach Ausweis eines einzelnen Becherkachelfragments der älteren grauen Drehscheibenware, das verlagert in den spätmittelalterlichen Planien im Innern des Massivbaus gefunden wurde, wohl auch zum adligen Wohnen genutzt. Lange kann die Nutzung jedoch nicht gewährt haben. Aus dem entwickelten 12. Jahrhundert sowie dem überwiegenden Teil des 13. Jahrhunderts sind bei den Grabungen in den Weihergärten bislang keine Funde zum Vorschein gekommen.

Die Vorgängerbesiedlung (Mitte 11. Jh.)

Abb. 13: Unter der um 1100 aufgetragenen Planierschicht konnten an drei Stellen ältere Pfostengruben nachgewiesen werden. Im oberen Bereich des Profils lässt sich die Verzahnung der um 1280 aufgebrachten Schieferplanien mit den zum neu errichteten Steinbau gehörenden Bauhorizonten erkennen.

Abb. 13: Unter der um 1100 aufgetragenen Planierschicht konnten an drei Stellen ältere Pfostengruben nachgewiesen werden. Im oberen Bereich des Profils lässt sich die Verzahnung der um 1280 aufgebrachten Schieferplanien mit den zum neu errichteten Steinbau gehörenden Bauhorizonten erkennen.

Abb. 14: Der rekonstruierte Pfostenbau des mittleren 11. Jahrhunderts im heutigen Ortsbild. Legt man östlich des Baus eine fiktive Straße mit der archäologisch belegten Ausrichtung des Gebäudes an, so mündet diese weiter im Süden in den Seilerweg. Möglicherweise querte an dieser Stelle ein Ortsverbindungsweg Mössingen – Nehren – Gomaringen die durch die Kappelstraße gegebene Hauptdurchgangsstraße Richtung Alb." width="350" height="641" /></a> Abb. 14: Der rekonstruierte Pfostenbau des mittleren 11. Jahrhunderts im heutigen Ortsbild. Legt man östlich des Baus eine fiktive Straße mit der archäologisch belegten Ausrichtung des Gebäudes an, so mündet diese weiter im Süden in den Seilerweg. Möglicherweise querte an dieser Stelle ein Ortsverbindungsweg Mössingen – Nehren – Gomaringen die durch die Kappelstraße gegebene Hauptdurchgangsstraße Richtung Alb.

Abb. 14: Der rekonstruierte Pfostenbau des mittleren 11. Jahrhunderts im heutigen Ortsbild. Legt man östlich des Baus eine fiktive Straße mit der archäologisch belegten Ausrichtung des Gebäudes an, so mündet diese weiter im Süden in den Seilerweg. Möglicherweise querte an dieser Stelle ein Ortsverbindungsweg Mössingen – Nehren – Gomaringen die durch die Kappelstraße gegebene Hauptdurchgangsstraße Richtung Alb.

Unmittelbar vor dem Auftrag der hochmittelalterlichen Planierschicht wurde auf dem Gelände ein Pfostengebäude niedergelegt: Drei Pfostengruben sind im Befund belegt; in Abb. 8 wurden drei weitere zur Verdeutlichung der Ausrichtung des Baus rekonstruiert, womit jedoch nicht zwingend die Gesamtausdehnung des Gebäudes wiedergegeben ist. Das Material, mit dem die Pfostenstandspuren verfüllt sind, entspricht dem der darüber liegenden Planierschicht (Abb. 13). Massiert auftretende größere Holzkohlestücke verweisen auf einen Brand vor/bei der Niederlegung. Die rekonstruierte Ausrichtung des Gebäudes, bei dem es sich wegen der nur ca. 25 cm durchmessenden Pfostenstandspuren wohl um einen leichten Wirtschaftsbau gehandelt haben dürfte, ist von daher sehr interessant, als sie noch eine frühmittelalterliche Wegverbindung spiegeln könnte (Abb. 14): Das Gebäude läge unmittelbar am von Südsüdwest kommenden, schon auf den ältesten Flurkarten belegten Seilerweg, würde man diesen über seine Einmündung in die Schulstraße/Kappelstraße hinaus verlängern. Übereinstimmende C14-Daten aus Holzkohlestücken aus den beiden westlichen Pfostengruben gehören in den Zeitraum 1023–1053 bzw. 1080–1153, wobei der frühere Zeitraum wegen der archäologischen Datierung der Planierschicht deutlich wahrscheinlicher ist. Mit einem kleinen Zuschlag für die Differenz zwischen C14- und Fälldatum wird man den Beginn der Pfostenbauphase grob in der Mitte des 11. Jahrhunderts ansetzen.

Abb. 15: Vor-burgzeitliche Pfostengrube (Mitte 11. Jh.) im Westeck des Festen Hauses. In den Gruben standen mit ca. 25 cm Durchmesser recht leichte Pfosten, weshalb man hier eher mit einem leichten, einstöckigen Wirtschaftsgebäude rechnen dürfte.

Abb. 15: Vor-burgzeitliche Pfostengrube (Mitte 11. Jh.) im Westeck des Festen Hauses. In den Gruben standen mit ca. 25 cm Durchmesser recht leichte Pfosten, weshalb man hier eher mit einem leichten, einstöckigen Wirtschaftsgebäude rechnen dürfte.

Die spätmittelalterliche Burg der Nerer (ca. 1280 bis 1370er)

Abb. 16: Südostwand des Festen Hauses mit dem einzigen erhaltenen Relikt des spätmittelalterlichen, in Kalkmörtelbindung erstellen Neuaufbaus (gelb umrandet). Nach links zweigt die hochmittelalterliche Binnenmauer ab. Foto von Südwesten.

Abb. 16: Südostwand des Festen Hauses mit dem einzigen erhaltenen Relikt des spätmittelalterlichen, in Kalkmörtelbindung erstellten Neuaufbaus (gelb umrandet). Nach links zweigt die hochmittelalterliche Binnenmauer ab. Foto von Südwesten.

Das Feste Haus wurde im späteren 13. Jahrhundert wiederaufgebaut, vermutlich durch den 1283 genannten ersten Vertreter der seither hier ansässigen Niederadelsfamilie, „C. dictus Nerer“. Zu diesem Zeitpunkt lag das Feste Haus entweder in Ruinen, oder es wurde von den Nerern bis etwa auf das heute noch erhaltene Niveau abgetragen. Auf den Rumpf wurde – bei reduzierter Wandstärke – eine mit Kalkmörtel gebundene Massivwand neu aufgesetzt (Abb. 16). Es ist denkbar, dass im Aufgehenden Buckelquader Verwendung fanden. Zwar wurde noch kein einziges Buckelquaderfragment im archäologischen Zusammenhang geborgen, zweitverwendete Buckelquader treten im Bereich der „Kappel“ jedoch mehrfach auf (Abb. 17). Gleichzeitig mit dem neuen Wandaufbau wurde der Rumpf mit den bereits erwähnten schieferhaltigen Anschüttungen „eingemottet“. Grabenseitig sind die Schieferplanien mit lehmigen Auskleidungen des alten Spitzgrabens verzahnt, die diesem ein Sohlgrabenprofil verliehen und die Einleitung von Wasser in den Graben ermöglichten (Abb. 11). Die zeitliche Verknüpfung von Aufschüttungen und Wiederaufbau des Festen Hauses ist durch feine kalkmörtelführende Bauhorizonte gut belegt, welche die Aufschüttungen weiträumig durchziehen (Abb. 13).

Abb. 17: Buckelquadersetzung Kappelstraße 9. Möglicherweise stammen die Steine von der Burg des 13. Jh. (siehe auch Geschichtspfad <a href="http://www.geschichtspfad-nehren.de/09-kappel/">Tafel 9: Kappel</a>)

Abb. 17: Buckelquadersetzung Kappelstraße 9. Möglicherweise stammen die Steine von der Burg des 13. Jh. (siehe auch Geschichtspfad Tafel 9: Kappel)

Abb. 18: Schnitt 2, Westecke des Turmfundaments, von Südwesten. Unmittelbar links des Fundaments erkennt man die ausgehobene, in die Schieferplanie (ganz links) eingetiefte Grube, die rings um den Turm führte und zu Abdichtungszwecken mit gelblichem Ton verfüllt war.

Abb. 18: Schnitt 2, Westecke des Turmfundaments, von Südwesten. Unmittelbar links des Fundaments erkennt man die ausgehobene, in die Schieferplanie (ganz links) eingetiefte Grube, die rings um den Turm führte und zu Abdichtungszwecken mit gelblichem Ton verfüllt war.

Vermutlich erwies sich schon kurz nach dem Neubau, dass die damals noch frische Schieferbruchplanierung sehr ungünstige Wasserführungseigenschaften besaß. Jedenfalls wurden die Planien rund um den Massivbau bis zu 90 cm tief abgegraben und durch dichten gelben Ton ersetzt (Abb. 12, Abb. 18). In diesem gelben Ton finden sich bislang auch die meisten Fundstücke, die – indirekt – zur Datierung des spätmittelalterlichen Neubaus herangezogen werden können. Beispiele sind Leistenränder und Flachdeckel (Abb. 19) der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ein formal entsprechender Flachdeckel datiert auch die Aufgabe eines nordwestlich des Gebäudes Kappelstraße 15 aufgedeckten Vorgängerbaus – der möglicherweise einem damals neu angelegten Zugang zur Burg weichen musste (vgl. Tafel 9). Leider aus gestörtem Fundkontext – der Verfüllung eines Altschnitts von 1951 – stammt eine unmittelbar vor dem Festen Haus (bei Abb. 12) gefundene Münze, ein Händleinheller des letzten Viertels des 13. Jahrhunderts. Es ist gleichwohl nicht unwahrscheinlich, dass sie ursprünglich bei den Bauarbeiten zum Festen Haus des Spätmittelalters oder kurze Zeit später bei der Anlage der Dichtungsgrube um den Steinbau in den Boden kam.

Abb. 19: Flachdeckel, graue jüngere Drehscheibenware, 2. Hälfte 13. Jahrhundert, aus der Tonpackung außerhalb des zum Fundament des Neubaus umgewandelten Stumpfes des hochmittelalterlichen Festen Hauses.

Abb. 19: Flachdeckel, graue jüngere Drehscheibenware, 2. Hälfte 13. Jahrhundert, aus der Tonpackung außerhalb des zum Fundament des Neubaus umgewandelten Stumpfes des hochmittelalterlichen Festen Hauses.

Nach Neuerrichtung des zentralen Steinbaus erfolgten weitere Bauarbeiten auf der Kernburg. Im Nordwesten und Nordosten sind umfangreiche Fachwerkgebäude auf Schwellfundamenten zu rekonstruieren, welche ausweislich des Brandschutts, der ihre Zerstörung markiert, wohl als (eigentliche?) Wohngebäude der ansässigen Adelsfamilie gewertet werden können. Die exakten Abgrenzungen der Bauten sind sehr schwierig, da die Fundamente nicht in die Schieferplanien hereinreichten, sondern lediglich auf diese aufgestellt gewesen waren. Damit liegen die weitestgehend ausgebrochenen Fundamente letztlich bereits im humosen Oberflächenbereich und sind nur schwer zu identifizieren. Über meist schwache Auffälligkeiten in der Struktur oder dem Fundgehalt der obersten Kulturschichten in Verbindung mit einzelnen im Boden verbliebenen, größerformatigen, behauenen Sandsteinen kann eine Rekonstruktion der Ausbruchgruben zum Teil aber doch gelingen (Abb. 20). Die Häuser scheinen bis direkt vor den Beginn des Geländeabfalls zum Graben gereicht zu haben. In der spätmittelalterlichen Phase gab es keine Wehrmauer um die Kernburg, auch keine Palisade. Lediglich ein schwaches Mäuerchen zur Einfassung der Oberfläche wäre denkbar. Zum nordöstlichen Grabenabschnitt führte eine ausgemauerte Müllschütte herunter, die ausweislich der daneben und unterhalb im Graben feststellbaren Fundkonzentrationen wohl über (annähernd) die gesamte Bestandszeit der spätmittelalterlichen Burg genutzt wurde.

Abb. 20: Schnitt 1, Schuttansammlung auf den Schieferplanien des 13. Jahrhunderts, von Nordosten. Vermutlich markiert der durch reinen Ziegelschutt markierte Streifen vor dem Südwestprofil die Verfüllung einer Ausbruchgrube zum Fachwerkbau im Nordwesten der Kernburg.

Abb. 20: Schnitt 1, Schuttansammlung auf den Schieferplanien des 13. Jahrhunderts, von Nordosten. Vermutlich markiert der durch reinen Ziegelschutt markierte Streifen vor dem Südwestprofil die Verfüllung einer Ausbruchgrube zum Fachwerkbau im Nordwesten der Kernburg.

Abb. 21: Schnitt 1, Keller in teilausgeräumtem Zustand, von Nordosten. Die Kellerwand links vorne wurde bereits von Berner freigelegt (Abb. 3) und anschließend ausgebrochen. Im rechten Profil ist nach hinten hin die Begrenzung des dort verlaufenden Kelleraufgangs zu erkennen. Der Kellerraum ist vollständig mit fundreichem Brandschutt angefüllt, die Steine der Südwestwand innen brandgerötet.

Das nordwestliche Fachwerkgebäude – dasjenige, das in Teilen rekonstruierbar ist – war mit einem ausgemauerten Halbkeller von etwa 5,5 m Kantenlänge teilweise unterkellert. Der Kellerhals führte nach Südwesten entweder nach außen oder in die nächste Gebäudezone. Beim in die 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts (1370er Jahre?) zu datierenden Brand der nördlichen Fachwerkteile der Burg brannte es auch im Keller selbst – die Innenwände sind teilweise deutlich brandgerötet (Abb. 21). Leider hat sich die Hoffnung nicht erfüllt, am Boden des Kellerraums auf Brandschutt in situ zu stoßen. Der Keller muss nach dem Brand noch einmal begangen worden sein, sogar die auf dem Boden zu rekonstruierenden Steinplatten wurden größtenteils geborgen. Gleichwohl lässt sich aus der Brandschuttverfüllung die Wohnfunktion des Gebäudes rekonstruieren, das soziale Niveau der Funde verweist klar auf adliges Wohnen (Abb. 22). Dass der Fachwerkbau mindestens einen repräsentativen Ofen aufgewiesen hat, zeigen die Relikte eines mitten im Brandherd zu lokalisierenden Nischenkachelofens (Abb. 23). Neben diesem dürften auf der Burg mehrere einfachere Schüsselkachelöfen bestanden haben.

Abb. 22: Im Brandschutt gefundenes Fragment eines Kruseler-Püppchens, vermutlich aus Konstanzer Produktion (2. Hälfte 14. Jahrhundert).

Abb. 22: Im Brandschutt gefundenes Fragment eines Kruseler-Püppchens, vermutlich aus Konstanzer Produktion (2. Hälfte 14. Jahrhundert).

Abb. 23: Im Brandschutt gefundene Fragmente von Nischenkacheln. Reste eines dem Brand voll ausgesetzten Kachelofens, der in sehr heißem Zustand zusammengebrochen sein muss: Auf der zwischenzeitlich angeschmolzenen Glasur einiger Kacheln haften Schuttteilchen.

Abb. 23: Im Brandschutt gefundene Fragmente von Nischenkacheln. Reste eines dem Brand voll ausgesetzten Kachelofens, der in sehr heißem Zustand zusammengebrochen sein muss: Auf der zwischenzeitlich angeschmolzenen Glasur einiger Kacheln haften Schuttteilchen.

Inzwischen ließ sich auch für die spätmittelalterliche Burgphase ein C14-Datum gewinnen, wobei es sich in diesem Fall gesichert um Bauholz handelt, das zu einem der großen Fachwerkbauten gehört haben dürfte und mit dem weiteren Brandschutt im Graben entsorgt wurde (die Burg wurde nach dem Brand aufgegeben, der Graben war damit funktional nicht mehr nötig). Das 2-Sigma Datum deckt die Zeit 1228-1284 ab, weshalb man unter Berücksichtigung eines Schätzwertes für die Differenz von C14- und Fälldatum mit dem Bau des abgebrannten Gebäudes etwa zwischen 1260 und 1310 (wahrscheinlichster Bereich: spätes 13. Jh.) rechnen kann. Damit könnten die Fachwerkbauten bereits der Grundkonzeption der vermutlich um 1280 durch C. dictus Nerer wieder aufgebauten Burg angehören. Eher nicht mit den abgebrannten Fachwerkgebäuden in Verbindung standen weitere Gebäude im Osten und Süden des Festen Hauses: Östlich ist die zu einem leichten Gebäude, vielleicht nur zu einem Pferdeunterstand, gehörige Ausbruchgrube zu belegen, eine zugehörige Streuung von Nonnenziegeln bezeugt dessen Eindeckung. Im Süden der Burg befindet sich der geoelektrischen Prospektion (Abb. 6) zufolge eine relativ umfangreiche Schuttstreuung, weshalb hier evtl. auch ein Massivgebäude platziert gewesen sein könnte. Beim randlichen Anschnitt der Streuung konnten bislang aber nur Nonnenziegel nachgewiesen werden (Abb. 24). Das südliche Gebäude dürfte den Zugang zur Burg flankiert haben, der mit hoher Wahrscheinlichkeit von Südosten von der Kappelstraße erfolgte.

Abb. 24: Schnitt 3, Ziegelstreuung von Nordosten: Einsetzen der Schuttstreuung im Süden der Burg

Abb. 24: Schnitt 3, Ziegelstreuung von Nordosten: Einsetzen der Schuttstreuung im Süden der Burg

Die Nerer

Abb. 17: Vorschlag eines Stammbaums der spätmittelalterlichen Herren von Neren mit hypothetischen Lebensdaten nach den schriftlichen Erwähnungen. Verwandtschaftsbeziehungen überwiegend erschlossen außer: Elisabeth ist Tochter Hugs, Renhard der Ältere hat eine Schwester.

Abb. 25: Vorschlag eines Stammbaums der spätmittelalterlichen Herren von Neren mit hypothetischen Lebensdaten nach den schriftlichen Erwähnungen. Verwandtschaftsbeziehungen überwiegend erschlossen außer: Elisabeth ist Tochter Hugs, Renhard der Ältere hat eine Schwester.

Als Erbauer der spätmittelalterlichen Burg ist mit einiger Wahrscheinlichkeit der 1283 genannte „C. dictus Nerer“ zu nennen: Über die im Zusammenhang mit dem Bau des Turms und seiner Trockenlegung stehenden Befunde hinaus führt die Burg so gut wie kein Fundmaterial des 13. Jahrhunderts, weshalb ein Baudatum kurz vor Erstnennung des hiesigen Ortsadels am wahrscheinlichsten ist (um 1280?). Tatsächlich dürfte das „C.“ als Abkürzung eines Familiennamens zu deuten sein – noch Mitte des folgenden Jahrhunderts siegelte Burkart der Nerer als „Burkart C. dict. Nerer“. Damit ist auch von den Schriftquellen her gut vorstellbar, dass die Familie „C.“ (Abb. 25) sich erst kurz vor 1283 in Nehren niedergelassen hatte. Das Ende der Burg ist hingegen nicht mit den zuletzt (bis 1441) belegten Nerern zu verbinden: Die Nerer des 15. Jahrhunderts wohnten definitiv nicht mehr auf der Burg: Johannes war Kaplan, dann Pfarrer, in Ofterdingen, Renhard heiratete nach Burg Hölnstein (bei Stetten u. H.). Mutmaßlich fallen Brand und Aufgabe der Burg in die Zeit Contz des Nerers, der wohl nur eingeheiratet war – im Mannesstamm scheinen die spätmittelalterlichen Nerer mit Renhard um 1370 auszusterben, was zusammenfällt mit dem Ende einer etwa 30 Jahre lang währenden Zeit dicht aufeinander folgender Quellenbelege. Als zweitgeborener Abkömmling der Familie Lescher (Tübingen-Kilchberg) scheint sich Contz nach dem Unglück gegen den Wiederaufbau des Stammsitzes der Ehefrau Adelheid entschieden zu haben. 1386 ist Contz als Bürger in Reutlingen belegt, 1393 ist die Ortsherrschaft bei den Hertern von Dusslingen – im damals erstellten Herterschen Erbteilungsbrief wird die Burg jedoch bereits nicht mehr erwähnt. Zusammengenommen dürften Brand und Aufgabe am ehesten in die Zeit zwischen 1370 und 1386 gehören.

Abb. 18: Siegel<br />  Burkarts des Nerers, Mitte 14. Jahrhundert.

Abb. 26: Siegel
Burkarts des Nerers, Mitte 14. Jahrhundert.

Die letzte Nachricht von der Nehrener Burg stammt vom 4. November 1535. In einem Tübinger Bericht an den nach Württemberg zurückgekehrten Herzog Ulrich heißt es: „Zu Nöra oben im Dorffe findet man noch uff diesen tage gewerk und anzaigung aines Burgstals, darin vor vil verschi(e)n Jauren die Nöramer von Nöra gesessen, deren stam und Name abgestorben, Jhr Schilt und wappen ist gewesen, in ainem roten veld ain weißer Monde mit vir weißen sternen, uff dem helme ein weißer Mon(d) mit ainem weißen Sterne“. Das Wappen, von dem hier die Rede ist, ist nicht mehr das von den Herren von Neren geführte, das uns nur in Form von Siegelabdrücken überliefert ist (Abb. 26). Es ist vielmehr das Wappen der Familie Lescher und dürfte auf den letzten Burgherren Contz zurückgehen (Abb. 27).

Abb. 19: Das bei der „Inventur“ der württembergischen Wehranlagen 1535 der aufgegebenen Nehrener Burg zugeordnete Wappen war dasjenige der Lescher von Kilchberg.

Abb. 27: Das bei der „Inventur“ der württembergischen Wehranlagen 1535 der aufgegebenen Nehrener Burg zugeordnete Wappen war dasjenige der Lescher von Kilchberg.

Offene Fragen

Die Entdeckung der hochmittelalterlichen Vorgängerburg in den Weihergärten wirft, zumal in der Korrelation mit den Schriftquellen, sehr spannende Fragen auf.Fixpunkt ist der Übergang Nehrens an Hesso von First 1092. Der Hochadlige, der nach neuen Erkenntnissen zur Sülchgauer Grafenfamilie der Hessonen gehören könnte, saß spätestens seit 1075 auf der von Nehren nur gut 2 km entfernten Höhenburg First. Es ist aufgrund der vorliegenden Daten unwahrscheinlich, dass die neu entdeckte hochmittelalterliche Burg in den Weihergärten Hesso vorangeht und Ausgangspunkt einer Vertikalverschiebung nach Burg First gewesen sein könnte: Die der ersten Burg vorangehende Pfostenbauphase beginnt nach den vorliegenden C14-Daten wohl zwischen ca. 1040 und 1070. Für das Jahr 1092, als Nehren an Hesso von First geht, wird man kaum von einer bewohnten Ortsburg in Nehren ausgehen – dies hätte wohl Niederschlag in den einschlägigen Schriftquellen gefunden. Auch wenn wir archäologisch nichts über die Dauer der Pfostenbauphase aussagen können, bedeutet dies vermutlich, dass man den Bau der ersten Nehrener Burg nach 1092 ansetzen sollte, zumal es ja Hinweise auf eine ins 12. Jahrhundert hineinreichende Nutzung des Festen Hauses gibt. Es ist gut möglich, dass wir in den Weihergärten eine Ministerialenburg des genannten Hesso vorliegen haben, der bis etwa 1100 versucht zu haben scheint, sich um seine Höhenburg ein Territorium aufzubauen. Alternativ könnten im Festen Haus in den Weihergärten aber auch Hessos Tochter Willibirg und deren Ehemann Landfried von Gönningen gelebt haben. Eine solche Konstellation könnte evtl. eine plausible Erklärung für die eingangs zitierte in ihrem Kontext fehlerhafte Nachricht bei Crusius bieten, der die Residenz derer von Gönningen in Nehren verortet hatte.

Gleichwohl könnte Nehren auch schon zuvor eine Rolle in der frühen Adelsgeschichte des oberen Steinlachtals um Burg First gespielt haben, das topografisch genau zwischen den Grafensitzen Achalm und Zoller zu liegen kommt. Die möglicherweise zu einer Topfkachel der älteren gelben Drehscheibenware gehörende Randscherbe (Abb. 10) könnte evtl. auf adliges Wohnen verweisen, das zeitlich noch vor (!) den Bau der ersten Burg in den Weihergärten gehört. Möglicherweise muss man, will man die herrschaftsgeschichtliche Rolle des Ortes ganz verstehen, über die bekannte Burgstelle hinausschauen. Besonders interessant ist dabei das Gebiet der noch nicht endgültig lokalisierten Kapelle, die dem Ortsteil „Kappel“ und der diesen durchziehenden Straße – einst einer überörtlichen Verbindung zu zwei Albaufstiegen – ihren Namen gegeben hat (vgl. Tafel 9). Besonders interessant sind auch die Bestattungen, die im 18. Jahrhundert in 70 m Entfernung von der Burg beim Haus Kappelstraße 16 zutage getreten sind. Besonders interessant könnte in diesem Zusammenhang auch der einem Gewann am alten Gönninger Weg anhaftende Flurname „Totenweg“ sein, der nach allem, was man weiß, nichts mit den „gewöhnlichen Nehrenern“ zu tun haben kann, die nach Ofterdingen eingepfarrt waren.

Im Moment beginnt die Adelsgeschichte des oberen Steinlachtals im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts, als Nehren und Hauchlingen einem Hermann von Mieringen gehören, der als Verwandter der Grafen von Achalm bezeichnet wird. Auf Burg First wohnt Hesso, der (aufgrund der Namenswahl für seine Tochter Willibirg) vermutlich mit einer Achalmerin verheiratet war. Es ist denkbar, dass die nebeneinanderliegenden Besitzkomplexe eine Generation vorher in Achalmer Besitz vereinigt waren – es war ungefähr die Zeit des Baus der namensgebenden Burg (um 1040). Wie es nochmals eine Generation vorher ausgesehen haben könnte, ist heute nur spekulativ zu erörtern. Im frühen 11. Jahrhundert entstanden die allerersten Höhenburgen im Herzogtum Schwaben – eine entscheidende Frage für die frühe Adelsgeschichte des oberen Steinlachtals ist, ob Burg First dazugehört habe könnte. Nach den vorläufigen Ergebnissen der Ausgrabungen auf der Burg in den Weihergärten könnte sich als zweite entscheidende Frage erweisen, wie es im und vor dem frühen 11. Jahrhundert in Nehren ausgesehen hat – genauer gesagt: in einem vermutlich auf der Kappel zu suchenden Herrenhof …

Literaturhinweise

Helmut Berner, Die vergessene „Burg der Nerer“. Archäologische und archivalische Forschungsmethoden auf eine mittelalterliche Anlage verwendet. Unpubliziertes Manuskript (Nehren 1952), einsehbar bei den Ortsakten Mittelalterarchäologie des RP Tübingen, Ref. 26, Denkmalpflege.

Helmut Berner, Beschreibung des Dorfes und der Markung Nehren, Stand 31.12.1954. Maschinenschr. Manuskript (Nehren 1955). Präsenzbestand Alemannisches Institut, Freiburg.

Martin Crusius, Schwäbische Chronik. Übersetzt und fortgesetzt
von Johann Jacob Moser (Frankfurt 1773).

Sören Frommer, Ausgrabungen auf der Nehrener Ortsburg in den Weihergärten. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2013, 310–314.

Sören Frommer, Neues von der Nehrener Ortsburg in den Weihergärten. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2015, 301-305.

Gemeindeverwaltung Nehren (Hg.), Nehren 1086-1986 (Nehren 1986).

Joachim Jehn, Von Hesso von First bis Renhard Nerer auf Hölnstein. Ergebnisse der Neusichtung der Schriftquellen zum mittelalterlichen Adel in Nehren. Schriftlicher Entwurf zum Vortrag „Die Herren von Nehren und ihre Burg. Archäologie und Geschichte der Burg in den Weihergärten“ (mit S. Frommer, 27.11.2014).

Joachim Jehn, Hesso von Virst – Überlegungen zu einer möglichen Verwandtschaft mit den Sülchgaugrafen. Unpubliziertes Manuskript (Tübingen 2015).

Carola Lipp et al. (Hg.), Nehren. Eine Dorfchronik der Spätaufklärung von F.A. Köhler. Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen 52 (Tübingen 1981).

Auch in Nehren stand eine Burg. Schwäbisches Tagblatt, 11. Mai 1951.

Staatliche Archivverwaltung Baden-Württemberg (Hg.), Der Landkreis Tübingen. Amtliche Kreisbeschreibung 2 (Stuttgart 1972).

von Sören Frommer

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