03. Nehren – Hauchlingen

Seit dem 14. Jahrhundert kamen sich im Landkreis Tübingen die beiden Vormächte Württemberg (blau) und Habsburg-Österreich (rot) sehr nahe. Den herrschaftlichen Flickenteppich perfekt machten Besitztümer  des Ritterkantons Neckar-Schwarzwald (grün) und geistliche  Territorien (lila).  Eingezeichnet sind  bei den württem- bergischen Orten  die Erwerbungsdaten, für Nehren 1446/47.

Abb. 1: Seit dem 14. Jahrhundert kamen sich im Landkreis Tübingen die beiden Vormächte Württemberg (blau) und Habsburg-Österreich (rot) sehr nahe. Den herrschaftlichen Flickenteppich perfekt machten Besitztümer des Ritterkantons Neckar-Schwarzwald (grün) und geistliche Territorien (lila). Eingezeichnet sind bei den württembergischen Orten die Erwerbungsdaten, für Nehren 1446/47.

Abb. 2: 1909 wählte die Gemeinde Nehren das Sparrenwappen der Herren von First, von denen sich ein Zweig nach Nehren genannt hat. Trotz Namenswechsel behielten die Ortsadeligen das hergebrachte Wappen bei. Auch Renhard der Nerer, der 1419 starb, führte es. Das Landratsamt Tübingen hat die Flagge am 1. Oktober 1982 verliehen.

Abb. 2: 1909 wählte die Gemeinde Nehren das Sparrenwappen der Herren von First, von denen sich ein Zweig nach Nehren genannt hat. Trotz Namenswechsel behielten die Ortsadeligen das hergebrachte Wappen bei. Auch Renhard der Nerer, der 1419 starb, führte es. Das Landratsamt Tübingen hat die Flagge am 1. Oktober 1982 verliehen.

Die Herrschaftsgeschichte

Das heutige Nehren ist aus zwei zumindest zeitweise eigenständigen Orten zusammengewachsen. Der eine Ort hieß Nehren (Gebiet Haupt-/Luppachstraße), der andere Hauchlingen (Bereich rund um Hauchlinger Straße und Veitskirche).

Vermutlich gehörten beide Orte im 11. Jahrhundert dem Hochadelsgeschlecht der Herren von First, die die gleichnamige Burg östlich von Mössingen bewohnten. Möglicherweise handelt es sich um alten Besitz der Grafen von Achalm.

In der 1838 erschienenen „Chronik“ des Pfarrers Friedrich August Köhler heißt es: „Nehren ist ganz mit Gärtchen und Obstbäumen umgeben und scheint deswegen von der Kunststraße aus gesehen nur ein kleines Dörfchen zu sein. Wahrscheinlich war der Ort in älteren Zeiten viel kleiner und seine verschieden benannten Teile wurden durch neue Bauten erst zusammenhängend. 1798 zählten diese Teile folgende Gebäude: Hauchlingen 53, mit Inbegriff der Querstraße, welche in demselben die Hauptgasse durchschneidet und deren südlicher Arm den Namen Bubengäßle führt, Wehrdt 13, Luppbach 30 und Cappel 23. In noch älteren Zeiten bestund der Ort nur aus vier Hofgütern, dem Reinboltshof, Hillershof, Widumhof und Brodbeckenhof.“

Das alte Nehren kam vor 1393 zum ritterschaftlichen Territorium der Herter von Dußlingen. Dieses umfasste die Burg Andeck bei Talheim, Ofterdingen, Altensickingen (Markung Bodelshausen) sowie Breitenholz im Ammertal. 1446/47 kaufte Graf Ludwig von Württemberg die Ortsherrschaft. Damit war Nehren württembergisch.

Abb. 3: Wappen der Herter von Dußlingen: Nehren gehörte zum Besitz der Herter von Dußlingen, bis es 1446/47 an Württemberg ging.

Abb. 3: Wappen der Herter von Dußlingen: Nehren gehörte zum Besitz der Herter von Dußlingen, bis es 1446/47 an Württemberg ging.

Hauchlingen ging noch im 11. Jahrhundert ganz oder teilweise in Klosterbesitz über. Nacheinander bestimmten verschiedene Klöster die Geschicke des Ortes: St. Georgen und Alpirsbach, beide im Schwarzwald, seit 1403 Kloster St. Georgen in Stein am Rhein. Durch die Reformation fiel dieses Kloster 1525 mitsamt seinem Besitz an die Stadt Zürich. 1543 kaufte Herzog Ulrich von Württemberg den Zürchern Hauchlingen ab. Damit ging der Ort wie knapp 100 Jahre zuvor Nehren an Württemberg.

Zwei Dörfer werden eins

Hauchlingen und Nehren wuchsen in einem längeren Prozess zusammen. Wichtigster Schritt war die kirchliche Vereinigung der beiden Gemeinwesen im Jahre 1504. Während Hauchlingen eine Kirche besaß, gehörte das kirchenlose Nehren seinerzeit noch zum Kirchenfilial Ofterdingen. Die Gläubigen mussten also, wollten sie die Messe besuchen, in den weit entfernten Flecken ziehen und auch ihre Verstorbenen auf dem Ofterdinger Friedhof auf dem Endelberg bestatten. Bis heute zeugt die Bezeichnung „Totenweg“ in Richtung Ofterdingen von diesen weiten letzten Gängen. „Ein Weg bei Wind und Wetter auf den Ofterdinger Berg war nicht jedermanns Sache. Man kann sich denken, dass die Nehrener zu jener Zeit herzlich schlechte Kirchgänger waren“, schreibt Dorfchronist Helmut Berner.

Am 19. Februar 1504 endete dieser unhaltbare Zustand, Nehren kam zur Pfarrei Hauchlingen. Eine wortreiche Urkunde dokumentiert diesen „Umzug“. Der Bischof von Konstanz, Herzog Ulrich, der Schultheiß von Nehren, die Dorfrichter und die Mitglieder der beiden Gemeinden stimmen darin zu, dass Nehren „in die pfarrkirchen unseres fleckens Huchlingen verordnet, angehengt und incorporiert“ werde. Eine hübsche Abfindung machte die Sache für die Ofterdinger erträglich, nach der jedes Jahr zwölfeinhalb gute rheinische Gulden aus den Erträgen der Allmand auf dem Höhnisch zu bezahlen war. Und zwar „fürohin öwiglich“, wie es optimistisch in der Urkunde heißt, an Mariä Lichtmess zu berappen, also am 2. Februar.

Um diese Zeit hatten die Nehrener in Hauchlingen bereits so viel Grund erworben, dass die Markungsgrenzen nicht mehr klar ersichtlich waren. Als Herzog Ulrich Hauchlingen im Jahre 1543 erwarb, gehörte ihm Nehren bereits. Unter seiner Landesherrschaft verband er die kirchlich vereinigten und räumlich zusammengewachsenen Orte vollends zu einer Gemeinde. Hauchlingen ging ganz in Nehren auf.

Abb. 4: Diese Ortsansicht von Nehren stammt von Obristleutnant Andreas Kieser. Er begann um 1680 im Auftrag der württembergischen Herrschaft, die württembergischen Forste neu zu vermessen. Zu den Karten gehörten farbige Ansichten der Klöster, Städte und Dörfer, die im jeweiligen Forst lagen, zudem auch die Marksteine. 687 Ortsansichten, ausgeführt mit Feder, Pinsel und Aquarellfarben, sind erhalten und lagern im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Gezeigt wird meist der Anblick von Norden aus. In „Nären“ oder „Nähern“, wie man den Ort damals schrieb, ragen die Kirche und ihr markanter Turm hoch über alle anderen Häuser des Dorfes auf. Obstbäume, Äcker und Grünland umgeben den Ort. Gut dargestellt ist auch der Geländeanstieg zur Kappel hinauf, dem dicht besiedelten Hügel am linken Bildrand <a href="http://www.geschichtspfad-nehren.de/09-kappel/">(Geschichtspfad Tafel 9)</a>.

Abb. 4: Diese Ortsansicht von Nehren stammt von Obristleutnant Andreas Kieser. Er begann um 1680 im Auftrag der württembergischen Herrschaft, die württembergischen Forste neu zu vermessen. Zu den Karten gehörten farbige Ansichten der Klöster, Städte und Dörfer, die im jeweiligen Forst lagen, zudem auch die Marksteine. 687 Ortsansichten, ausgeführt mit Feder, Pinsel und Aquarellfarben, sind erhalten und lagern im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Gezeigt wird meist der Anblick von Norden aus. In „Nären“ oder „Nähern“, wie man den Ort damals schrieb, ragen die Kirche und ihr markanter Turm hoch über alle anderen Häuser des Dorfes auf. Obstbäume, Äcker und Grünland umgeben den Ort. Gut dargestellt ist auch der Geländeanstieg zur Kappel hinauf, dem dicht besiedelten Hügel am linken Bildrand (Geschichtspfad Tafel 9).

Die Hauchlinger Kirche St. Veit

Alt-Hauchlingen und Alt-Nehren bilden heute gemeinsam den sogenannten „Flecken“, um den sich alles andere gruppiert. Die eingesessenen Hauchlinger wissen um ihren Wert, heute noch ist man in dem Dorfteil ein wenig stolz darauf, dass man einst das Unterfutter für das heutige Erscheinungsbild geliefert hat. Denn den schönen Hauchlinger Fachwerkkirchturm, schon aus der Ferne prägend für das Ortsbild, verbindet man heutzutage allein mit dem Ortsnamen Nehren.

Von der Kirche sind weder Stifter noch Erbauer bekannt. 1275 wird sie in einer Urkunde erwähnt. Ihr Schutzpatron St. Veit machte die Kirche zum Mittelpunkt ausgedehnter Wallfahrten. Jeweils am 15. Juni pilgerten Gläubige aus nah und fern hin zur Hauchlinger Kirche. Das für wundertätig angesehene Abbild des heiligen Vitus sollte helfen, den damals weitverbreiteten Veitstanz (Nervenkrankheit Chorea minor) entweder zu heilen oder, besonders die Kinder, vor ihm zu schützen. Selbst nach der Reformation, die der Pfarrer Christophorus Scheydeck einführte, wurden die katholischen Wallfahrten fortgesetzt. Die evangelische Kirchenbehörde in Stuttgart musste 1554 ein strenges Edikt erlassen, um den Betrieb zu unterbinden. Um 1890 waren aber immer noch zwei hölzerne „Veitle“ in der Kirche vorhanden. Im Laufe der Jahre verschwanden sie jedoch. Eines soll zu Feuerholz gemacht worden sein, vom zweiten fehlt jede Spur.

Abb.5: Die Vereinigungsurkunde

Abb.5: Die Vereinigungsurkunde

Text: Jürgen Jonas und Wolfgang Sannwald