10. Siedlungsbau

Haus und Wald

Wo die Böden fruchtbar waren, Naturkatastrophen, Krankheiten und Kriege längerfristig ausblieben, bestanden in Mittelalter und Neuzeit gute Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum und bescheidenen Wohlstand. Vor allem aber wuchs die Bevölkerung stetig an. Wo immer mehr Menschen leben und arbeiten, wohnen, kochen und Handwerk betreiben, schlägt sich dies im Holzbedarf eines Ortes nieder. Nicht umsonst wird die Zeit bis zur Erschließung fossiler Brennstoffe auch das „hölzerne Zeitalter“ genannt. Ausreichend Bau-, Brenn- und Werkholz war eine der wichtigsten Grundlagen für die Existenz eines Ortes.

In Nehrens Fachwerklandschaft spiegeln die Häuser aber nicht nur Anzahl und Wohlstand der Menschen wider, sie verraten auch viel über den Baumbestand der nahen Wälder. Solange geeignetes Holz vorhanden war, konnte nach Lust und Laune gebaut werden. Um 1600 gingen aber die lokalen Bauholzbestände langsam zur Neige und das 17. Jahrhundert brachte Nehren einschneidende Veränderungen.

Als 1618 der Dreißigjährige Krieg ausbrach, waren die Bestände an dem beliebten eichenen Bauholz im gesamten Albvorland und Schönbuch bedrohlich stark zurückgegangen. Nadelhölzer aus dem Schwarzwald mithilfe der Neckarflößerei zu importieren bedeutete zwar eine Alternative. Doch der Transport von der Anlegestelle in Tübingen über Land bis nach Nehren war teuer. Daher setzten die Nehrener Bauherren das kostspielige Floßholz vorzugsweise für besonders lange Bauteile ein. Als die Eichen allmählich knapp wurden, wichen sie auf weniger gut geeignete Holzarten aus, wie etwa Pappel und Birke. Dies bedeutete aber zugleich Einbußen bei der Stabilität und Haltbarkeit der Bauten.

Das am leichtesten einzusparende Bauholz war schlichtweg jenes, das man erst gar nicht benötigte. So entdeckten die Nehrener aus der Not heraus einen Hoftyp wieder, der einst zwar geläufig war, seit dem frühen Mittelalter aber durch mehrteilige Gehöfte abgelöst wurde: den Eindachhof, der auch als Einfirsthof oder Einhaus bezeichnet wird.

Abb. 1: Kappelstraße 12: Ein klassischer Eindachhof des 18. Jahrhunderts mit Wohnhaus und Scheune unter einem Dach

Abb. 1: Kappelstraße 12: Ein klassischer Eindachhof des 18. Jahrhunderts mit Wohnhaus und Scheune unter einem Dach

Die Eindachhöfe

Wie der Name schon sagt, vereinigt der Eindachhof Wohnbereich und Scheune unter einem Dach. Mit dieser kompakten Lösung konnte das Holz für eine komplette Wand eingespart werden. Dementsprechend sind Eindachhöfe immer dann vorzufinden, wenn Bauholz knapp wurde oder von Natur aus knapp war, etwa am Albtrauf und in den Albtälern. Hier finden sich auch die ältesten Beispiele für diesen Hoftyp, datierbar in die Mitte des 15. Jahrhunderts.

In Nehren scheinen die ältesten Eindachhöfe nur bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückzureichen, was für ausreichende Waldbestände über lange Zeit hinweg spricht. Nach 1700 werden sie dagegen zum vorherrschenden Bautyp. Die Luppachstraße – erste Siedlungserweiterung Nehrens – bestätigt dies eindrucksvoll. Sie wird von Eindachhöfen dominiert. Ältestes Beispiel dürfte hier der Hof Luppachstraße 18 darstellen.

Abb. 2: Übersicht Eindachhöfe. Sie treten gehäuft an den Ortsrändern von Nehren auf. Dies verdeutlicht sowohl den Siedlungsausbau in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, als auch das spätere Auftreten dieses Gehöfttyps. Denn ansonsten sind mehrteilige Gehöfte für Nehren typisch.

Abb. 2: Übersicht Eindachhöfe. Sie treten gehäuft an den Ortsrändern von Nehren auf. Dies verdeutlicht sowohl den Siedlungsausbau in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, als auch das spätere Auftreten dieses Gehöfttyps. Denn ansonsten sind mehrteilige Gehöfte für Nehren typisch.

Text: Tilmann Marstaller