Verblattungen als Kennzeichen
Die ältesten erhaltenen Fachwerkhäuser Nehrens, die Wohnhäuser Im Bund 6 und In der Oper 1 wurde beide im Jahr 1485 errichtet. Im Bund 6 ist durch seinen modernen Außenputz kaum als historisches Gebäude erkennbar, jedoch liegen im Innern des Hauses die Fachwerkhölzer mit den typischen Merkmalen mittelalterlichen Fachwerks offen. Am anschaulichsten ist das mittelalterliche Fachwerk am außergewöhnlich vollständig erhaltenen Südgiebel des Dachwerks von In der Oper 1 zu sehen: Charakteristisch sind die „Blattverbindungen“, bei denen die „Blattenden“ der schräg verlaufenden, das Gerüst aussteifenden Hölzer („Bänder“) in die „Blattsassen“ an den senkrechten und waagrechten Bauteilen eingepasst wurden. Nur noch fünf Gebäude in Nehren zeigen äußerlich Spuren dieser mittelalterlichen Abzimmerungsform. Meist handelt es sich dabei um die Blattsassen an den senkrechten und waagrechten Hölzern, während die darin eingepassten Bänder bei späteren Umbauten verloren gegangen sind.
Wärmedämmung vor über 500 Jahren
Bei Wohnhäusern fällt die überraschend große Raumhöhe des Wohnstocks ins Auge. Sie ermöglichte die Anlage einer abgehängt unter dem Deckengebälk eingebauten Bretterbalkendecke, die bei den älteren Häusern zumeist leicht gewölbt war. Im Zusammenspiel mit den häufig mit Bohlen geschlossenen Wänden bezweckte sie eine ausreichende Wärmedämmung der Wohnstube, dem einzigen beheizbaren und zugleich rauchfreien Raum im Hause.
Moderne Schale – rustikaler Kern: Nehrens älteste Scheunen
Die ältesten Scheunen im Ort stammen aus der Zeit nach 1535. Im Innern besitzen sie teils noch bis weit in die zweite Hälfte des 16. Jahrunderts hinein mittelalterliche Abzimmerungsformen. Ihre Fassaden zeigen dagegen bereits neuzeitliches Fachwerk, bei dem die aussteifenden Schräghölzer („Streben“) an beiden Enden verzapft ausgeführten wurden.
Im Mittelalter und noch lange Zeit danach waren Glasfenster aus Kostengründen nur bei Stuben üblich. Dafür waren sie als einzige natürliche Lichtquelle zugleich winddicht und hielten so die Wärme in der Stube.
Die spätgotische Pfarrkirche von Hauchlingen
Die spätgotische Veitskirche ist wie so häufig das älteste aufrecht stehende Gebäude im Ort. 1430 wurde sie mit dreiseitig geschlossenem Chor, einem in gleicher Breite weitergeführten Langhaussaal und dem seitlichem Glockenturm an der Chornordseite errichtet. 1511 wurde der massive Schaft des Turm um zwei Geschosse erhöht und erhielt im Jahr darauf seinen ebenso markanten wie außergewöhnlichen, zweistöckigen Fachwerkaufsatz. Originales Fachwerk findet sich noch im unteren Stockwerk, dessen Außenwände das älteste Beispiel neuzeitlichen Fachwerks in Nehren darstellen. Die Fachwerk im oberen Stockwerk wurden 1720 zur Neuanlage der Schallfenster ersetzt. Seit der Fachwerkfreilegung 1980 bildet der Turm wieder von weit her sichtbar das Nehrener Wahrzeichen. Im Glockengeschoss des Turmes hängt noch eine Glocke, die im Jahr der Turmvollendung 1512 gegossen wurde.
Die Pfarr- und Wallfahrtskirche St. Veit bis zur Reformation
Bis zur kirchenrechtlichen Zusammenlegung von Nehren und Hauchlingen im Jahr 1504 war das 1275 erstmals genannte Gotteshaus die Hauchlinger Pfarrkirche. Dabei handelte es sich um einen langgestreckten Rechtecksaal mit dreiseitig geschlossenem, vom Langhaus durch einen eingestellten Chorbogen abgetrenntem Chor und nördlichem Chorseitturm. Das Langhaus der Kirche war aufgrund der rekonstruierbaren Höhe des Chorbogens einst vermutlich mit einer Holztonne überwölbt, während der Chor vielleicht sogar ein Steinrippengewölbe besaß. Auf die Funktion als Pfarrkirche weisen noch der achteckige, in vorreformatorischer Form ausgehöhlte Taufstein und die Kirchhofmauer (= Friedhofmauer) hin. Zumindest im ausgehenden Mittelalter war die Kirche dem hl. Veit geweiht. Nach Angaben von 1554 bildete sie jährlich das Ziel einer großen Wallfahrt und Schauplatz des an heidnische Zeiten anknüpfenden Veitstanzes. Nehren besaß keine eigene Pfarrkirche und war bis 1504 nach Ofterdingen eingepfarrt. So mussten die Nehrener ihre Toten vor 1504 auf den Ofterdinger Kirchhof am Kirchberg bringen.
Die nachgotisch erweiterte „evangelische Kirche“
Die 1534 eingeführte durch Württemberg eingeführte Reformation bedeutete für die Pfarrkirche den Verlust ihres Patroziniums. Seitdem ist sie die „Evangelische Kirche“ von Nehren. 1554 wurden schließlich bei Androhung schwerer Strafe die Wallfahrt und der Veitstanz verboten. Nach der 1504 kirchlich und 1543 auch politsch erfolgten Zusammenlegung der Nehrener Teilorte war die alte Pfarrkirche zu klein geworden. Doch erst 1587 trug man durch die Erweiterung des Kirchenschiffs nach Norden und den Einbau einer Westempore im Innern der gestiegenen Zahl an Gemeindemitgliedern baulich Rechnung trug. Bemerkenswert ist die „nachgotische“ Ausformung der neuen Spitzbogenportale im Süden und Westen sowie der breiten Nordfenster, die mitten in der Blütezeit der Renaissance spätgotisches Fischblasenmaßwerk erhielten, Auf die Stilepoche der Renaissance verweisen allenfalls kleinere bauliche Details. 1720/21 wurde auch der zuvor schon vorhandene Dachreiter mit seinem „Zimbelglöckchen“ durch die bestehende Konstruktion ersetzt. Um 1916 wäre die Kirche beinahe zugunsten eines Neubaus im Bereich der heutigen Schule abgebrochen worden, was letztlich der zweite Weltkrieg verhinderte. So folgten verschiedene Sanierungen: 1928 wurde die Südempore, 1954 die Orgelempore abgebrochen und die Orgel in die dafür aufgebrochene Turmsüdwand eingefügt. 1960 erhielt das Turmfachwerk seinen letzten Außenputz. 1978 fügte man im Nordosten den achteckigen Sakristeineubau an und 1980 wurde schließlich das Turmfachwerkfreigelegt. Nun steht wieder eine Sanierung der Kirche an.
Abbildungsnachweise
Abb. 1 – 3, 4b und 5: Tilmann Marstaller
Abb. 4a: Jürgen Jonas: Nehren und Hauchlingen beieinander – Geschichte und Geschichten aus über 500 Jahren (Nürtingen/Frickenhausen 2004, S. 22 (Ausschnitt).
Abb. 6: Kirchengemeinde Nehren/Architekt Hörz, Überarbeitung Tilmann Marstaller
Abb. 7: H.-J. Bleyer, Metzingen, Überarbeitung Tilmann Marstaller
Abb. 8 – 11a+b: Tilmann Marstaller
von Tilmann Marstaller