Die Nehrener Gemarkung gehörte als Teil der Altsiedellands sicher zu allen Zeiten der südwestdeutschen Siedlungsgeschichte zumindest zum regelmäßig begangenen Areal. Das gleichwohl nicht aus allen ur- und frühgeschichtlichen Phasen Fundstücke oder gar archäologische Befunde bekannt geworden sind, hat auch viel mit dem Zufall der Entdeckung zu tun.
Die beiden ältesten bekannten Fundstücke auf Nehrener Gemarkung datieren in die jüngere Steinzeit. Diese auch als Neolithikum bekannte Epoche beginnt mit dem Wechsel von der jägerischen zur bäuerlichen Wirtschaftsweise – einem der ganz großen Wendemarken der Geschichte der menschlichen Zivilisation. Der eine der zwei Einzelfunde, ein spätneolithisches Steinbeil des 4./3. Jahrtausends v. Chr., wurde 1931 durch Professor Gustav Riek von einem Nehrener Bauern erworben. Das Beil hatte dessen Vater vor Jahren auf einem seiner Äcker nördlich des Ortes gefunden. Das 10,2 cm lange Beil aus feinkörnigem grauem Gestein mit geschliffenen Schneideflächen befindet sich heute in Privatbesitz. Eher noch etwas älter als das Steinbeil ist eine Klinge aus Jurahornstein, die möglicherweise noch ins Mittelneolithikum (ca. 5. Jahrtausend v. Chr.) gehört. Der genaue Fundort des im Rathaus aufbewahrten Fundstücks (Abb. 1) ist unbekannt.
In der Bronzezeit wurde erstmals nachweislich auf Nehrener Markung gesiedelt. Wie häufig in ur- und frühgeschichtlicher Zeit kann dies bislang nur durch die zur Siedlung gehörigen Grabstätten belegt werden, die eigentlichen Wohnplätze sind unbekannt. Gleichwohl lassen sich die Fundstellen dieser und späterer Zeit nun kartieren – sie sind entweder durch archäologische Ausgrabungen oder zumindest durch zuverlässig dokumentierte Beobachtungen lokalisierbar (Abb. 2).
Die älteste Fundstelle ist zugleich die einzige außerhalb des heutigen Dorfs gelegene: das überregional bekannte Grabhügelfeld der Bronze- bis Hallstattzeit – eine der größten Hügel-Nekropolen im Regierungsbezirk Tübingen. Das 33 heute noch erkennbare Hügel umfassende Gräberfeld (Abb. 2.1, Abb. 3) wurde im Oktober 1895 durch den aus Haid bei Trochtelfingen stammenden Landwirt Johannes Dorn ergraben. Wie damals nicht unüblich, stand bei seinen Untersuchungen weniger die wissenschaftliche Dokumentation als vielmehr die Bergung wertvoller Gegenstände im Mittelpunkt. Die Veräußerung der geborgenen Fundstücke ins In- und Ausland war Teil des Dorn’schen Geschäftsmodells, weswegen er seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts als „Schatz- und Raubgräber“ stark in den Fokus der Fachkritik geraten war. Dorn öffnete insgesamt 13 Hügel, von denen sieben bereits geplündert waren, sechs weitere aber noch reiche Funde enthielten. Die Funde aus den zwei reichsten Gräbern, in denen jeweils auch Goldschmuck gefunden wurde, sind in Abb. 4 dargestellt. Besonders hinzuweisen ist auf das ganz rechts abgebildete, 58 cm lange zweinietige Griffplattenschwert, das als „Typ Nehren“ namensgebend für eine ganze Gruppe von bronzezeitlichen Schwerter ist.
Schatzsucher in Nehren
Die Menschen der Vorzeit gaben ihren Verstorbenen oft reiche Beigaben mit. Schwerter, Äxte und Lanzen lagen in der Bronze- und Eisenzeit an der Seite der Krieger, Ringe, Arm- und Halsreifen aus Bronze und Gold zierten wohlhabende Frauen über den Tod hinaus. Das weckte Begehrlichkeiten.
Im Oktober 1895 setzte der aus Haid bei Trochtelfingen stammende Landwirt Johannes Dorn seinen Spaten in Nehren an. Wie damals nicht unüblich, hatte er weniger eine wissenschaftliche Dokumentation im Sinn – er machte Jagd auf wertvolle Grabbeigaben. Der Verkauf solcher Funde ins In- und Ausland war Teil des Dorn’schen Geschäftsmodells. Die Fachwelt kritisierte ihn später als „Schatz- und Raubgräber“. In Nehren öffnete Dorn 13 Hügel, sieben waren zwar bereits geplündert, sechs enthielten aber noch reiche Funde, darunter Goldschmuck.
Der Bauer von der Alb interessierte sich nicht als Einziger für die graue Vorzeit: Bereits 1889 öffnete der Kornwestheimer Pfarrer Ludwig Otto Pichler einen Grabhügel der Hallstattzeit.
Die im 15./14. Jahrhundert v. Chr. angelegte Grabhügelgruppe wurde in der Eisenzeit, viele Jahrhunderte später, erneut in Belegung genommen. In der späten Hallstattzeit (ab 7. Jahrhundert) wurden teils neue Hügel errichtet, teils Nachbestattungen in bronzezeitlichen Hügeln angelegt. Ein hallstattzeitlicher Hügel war bereits 1889, also noch vor den Dorn’schen Grabungen, durch den Kornwestheimer Pfarrer Ludwig Otto Pichler geöffnet worden. Über verlagerte Funde ist eine Weiternutzung der Nekropole bis in die Latènezeit (bis etwa um 400 v. Chr.) nachgewiesen, es ist mit in diese Zeit datierenden Flachgräbern zwischen den Hügeln zu rechnen.
Archäologische Replikate aus Nehren
Wenn man an „ur- und frühgeschichtliche Archäologie“ und „Nehren“ denkt, kommt man an nicht am Nehrener Häfner Georg Klett vorbei. Anfang der 1920er Jahre wurden Tübinger Archäologen (Prof. Rudolf Schmidt, Hans Reinerth) auf den noch in traditioneller Technik ohne elektrischen Antrieb fertigenden Nehrener aufmerksam. Klett erkannte, dass die ihm vorgelegten Stücke nicht auf einer Drehscheibe hergestellt worden sein konnten und machte sich im Folgenden an das Wieder-Erlernen der Keramikherstellung im Handaufbau sowie der verschiedenen in ur- und frühgeschichtlicher Zeit genutzten Dekor-Techniken. Über Jahre kamen die Archäologen mit Begeisterung zum Nehrener Häfner, nicht nur wegen seiner handwerklichen Expertise, sondern auch weil er ein humorvoller (wenn auch für Nicht-Schwaben nicht immer leicht zu nehmender) und spendabler Gastgeber, ein guter Erzähler und Unterhalter war. Kletts meisterhafte Replikate sind noch heute im Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen zu finden. Abb. 5 zeigt das 1931 mit Exponaten von Klett dort eingerichtete „Töpferhaus“ der bronzezeitlichen Siedlung „Wasserburg Buchau“.
Nach einer Fundlücke in Römerzeit und Völkerwanderungszeit ist seit dem Frühmittelalter wieder Besiedlung auf Gemarkung Nehren belegt. Die ältesten Siedlungsbelege gehören dabei zum vermutlich bereits in der Merowingerzeit (5. – 7. Jahrhundert) gegründeten Hauchlingen, den älteren der beiden Nehrener Teilorte (vgl. Tafel 3). In den unmittelbar nördlich des Tafelstandorts gelegenen „Hauchlinger Gärten“ (Abb. 2.2b) finden sich flächendeckend Lesefunde der älteren gelben Drehscheibenware, Typ Jagstfeld sowie von älterer Albware, so dass man in diesem Bereich von einer hochmittelalterlichen Besiedlung (11./12. Jahrhundert) ausgehen kann. Noch älter sind die 2013 in der Baugrube der Musikantenscheune am Wiesbach aufgelesenen Fundstücke (Abb. 2.2a, Abb. 6): Die dortigen Funde der älteren gelben Drehscheibenware, Typ Runder Berg sind von altertümlicher Art und weisen dicke Bodenstücke auf. Im Scherben ist noch ein Anklang der älteren rauwandigen Drehscheibenware erkennbar: Spätestens im 8. Jahrhundert dürfte dieser Bereich direkt am Wiesbach besiedelt gewesen sein. Damit scheint klar, dass das frühmittelalterliche Hauchlingen seinen Ausgangspunkt in einer kleinen, direkt am Wiesbach gelegenen Siedlung genommen hat. Noch unbekannt ist die Lage des zugehörigen Gräberfelds.
Die jüngere Siedlung, das später namensgebende Nehren, ist durch unter der spätmittelalterlichen Burg in den Weihergärten (Abb. 2.3, Abb. 7, vgl. Tafel 8) zu Tage tretende Keramikfunde seit dem 10. Jahrhundert belegt. Die Burg selbst, eine Wohnturmburg mit in Fachwerk ausgeführter umfangreicher Randbebauung, wurde in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet und von der seit 1283 schriftlich belegten Familie der Nerer bewohnt. Möglicherweise in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bau der Burg steht die Niederlegung eines traufständigen Fachwerkbaus an der Kappelstraße (Abb. 2.4), der wohl der Anlage der Zufahrt zur Burg im Weg stand. Ein über dem abgebrochenen Fundament gefundener Flachdeckel der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts deutet zumindest eine passende Zeitstellung der Niederlegung an. Nach Forschungsstand von 2014 wurde die Burg bereits in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts nach einem verheerenden Brand wieder aufgegeben.
Die noch nicht endgültig lokalisierte Kapelle, die der Kappelstraße ihren Namen gab, dürfte vermutlich zur Burg gehört haben. Zur Kapelle wiederum könnten bereits im 18. Jahrhundert aufgedeckte in den Schiefer eingehauene Gräber (Abb. 2.5) gehören, bei denen man auch einen Steigbügel entdeckte. Nach Karl Steimle, der 1920 beim Umbau von Scheuer und Stall des Hauses Kappelstraße 16 noch Skelettreste beobachten konnte, dürften diese Grabfunde wohl eindeutig lokalisierbar sein. Mangels Dokumentation oder erhaltenen Funden sind die Gräber momentan jedoch noch nicht gesichert datierbar, auch eine frühere Zeitstellung innerhalb des Mittelalters ist theoretisch denkbar.
Auch aus der Neuzeit liegt eine erste archäologische Dokumentation vor. In der Doppelscheune Hauptstraße 33/3 (Abb. 2.6) wurde 2009 beim Tieferlegen des Bodens ein Scherbennest beobachtet, aus dem schließlich zwei annähernd vollständige Gefäße geborgen bzw. rekonstruiert werden konnten: zwei dünnwandige Henkeltöpfe mit Innenglasur, dabei ein Knaufdeckel (Abb. 8). Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden in diesen Gefäßen Nachgeburten bestattet. Der Brauch, Nachgeburten in Tongefäßen zu vergraben – an dunklen Orten unter der Treppe, in Kellern oder, wie in Nehren, in Scheuern – ist seit dem 16. Jahrhundert schriftlich belegt, die ältesten archäologischen Belege weisen noch ins Mittelalter. Zum Massenphänomen wird die Nachgeburtsbestattung, die in Baden-Württemberg besonders gut erforscht ist, allerdings erst im 17./18. Jahrhundert, wobei sich eine Konzentration der Fundorte auf die evangelischen Landesteile abzeichnet.